Nathan Gill, Jahrgang 1960, lebt in Kent, England und arbeitet als Gärtner.
Lektüre:
„Sein – sonst nichts“ Gespräche mit Nathan Gill
„schon wach“ Gespräche mit Nathan Gill
Die Bücher von Nathan Gill zählen zu den besten und kompromisslosesten, die es über Nondualität gibt. Hier findet man keine Vertröstungen auf später („Wenn du auch mal erleuchtet bist, dann wirst du sehen …“). Es werden auch keine Rezepte angeboten („Sei still, sei offen, sei achtsam, sei …“), die darauf abzielen, dass ein imaginäres Ich aufwachen sollte – sondern nur Beschreibungen der Wachheit, die immer schon da ist.
Dittmar Kruse (Übersetzer)
ZITATE VON NATHAN GILL
Es ist nicht so, dass es Grade des Eintauchens gibt, obwohl es den Anschein hat. Anfangs kommt vielleicht vereinzelt das Erkennen unserer wahren Natur, die ins Spiel einsickert und scheinbar allmählich beständiger wird. Meditation muss nicht unbedingt etwas damit zu tun haben, überhaupt nicht. In der Meditation kann eine Verlangsamung der Gedanken stattfinden, oder sie können ganz aufhören, aber wenn die Meditation zu Ende ist, dann kommen die Gedanken zurück.
Obwohl Einssein, oder Sein, unteilbar ist, könnte man sagen, dass es zwei Aspekte hat: Gewahrsein und den Inhalt des Gewahrseins, der gegenwärtig erscheint.
Der Inhalt des Gewahrseins, das sind all die verschiedenen Bilder, die auftauchen: visuelle Bilder, Empfindungen, Klänge, Gedanken, Gefühle usw. All diese Bilder erscheinen gegenwärtig im Gewahrsein, aber die Gedanken-Bilder scheinen eine zusätzliche Dimension zu bieten: die Möglichkeit einer scheinbaren Ablenkung, weg von der Gegenwart oder aus ihr heraus und hinein in die Geschichte von „mir“ als einem Individuum, einer getrennten Wesenheit, die in Zeit und Raum lokalisiert ist.
Die Geschichte von „mir“ ist auf Gedanken gegründet, und weil Gedanken nur ein Teil des ganzen Bildes sind, wird die Geschichte von einem Gefühl des Mangels begleitet, wenn sie als Wirklichkeit erscheint. Die Suche nach Ganzheit ist die Geschichte des Versuchs, dieses Empfinden von Mangel auszufüllen.
Die Suche nach Ganzheit erscheint auf unzählige Arten; eine davon ist die Suche nach Erleuchtung. Auch hier ist sie unausweichlich auf die persönliche Geschichte konzentriert, die partielle, psychologische Sicht der Wirklichkeit, und infolgedessen kann sie nicht zu einem bleibenden Empfinden von Erfüllung führen.
Wann immer das Spiel des Lebens nicht vom psychologischen Standpunkt aus gesehen wird, aus der Sicht „meiner“ Geschichte, zeigt sich ein nicht personalisiertes und nicht fragmentiertes Bild frei von jeglichem Mangel-Empfinden. Alles taucht wahrscheinlich genauso auf wie vorher auch, aber ohne die verzerrte Sicht, die es zu „Meinem“ macht.
Jede Art von Warten impliziert, dass etwas noch kommen wird, ein Geschehen, dass auf die Zukunft projiziert wird. Es gibt nur Gegenwart, in der dieses Wartespiel geschieht. Es ist schon Gegenwart: Gewahrsein und der Inhalt, der gegenwärtig auftaucht. Das kann nicht geleugnet werden. Nichts ist für die Gegenwart erforderlich. Sie ist alles, was es gibt.
Aus Sicht der Identifikation scheint es natürlich so, als ob hier ein „ich“ wäre, das Dinge tun kann und in der Lage ist, Wirkungen zu erzielen. Aber in Abwesenheit der Identifikation ist es offensichtlich, dass es niemanden gibt, der etwas tut. Alles geschieht ganz von selbst; das gilt auch für die Identifikation und ihre Abwesenheit. Identifikation wird nicht verursacht, und ihr Verschwinden ist nicht die Wirkung irgendeiner Ursache.
Gewahrsein und Inhalt des Gewahrseins sind nicht voneinander getrennt; sie sind eins.
Verstehen ist die gedankliche Reflektion des direkten Wissens. Aber weil Verstehen gedanklich ist, kommt und geht es wie alle anderen Erscheinungen auch.
Sein hat keinerlei Erfordernisse. Nichts muss geändert oder erreicht werden, um zu SEIN. Denn diese gegenwärtige Erscheinung ist schon der vollkommene Ausdruck des Seins und kann nicht umgangen werden.
Das Wesen des Denkens ist es, andere Dimensionen zu suggerieren, andere Wirklichkeiten abseits von dieser hier. Wenn Identifikation die gegenwärtige Wirklichkeit ist und auch die Vorstellung von etwas namens „Erleuchtung“ da ist, dann ist „Erleuchtung“ in diesem Beispiel illusorisch. Sie ist nur als Vorstellung wirklich, als Gedanke. In diesem Sinne erscheint das Denken als Tor heraus aus der Gegenwart, heraus aus der Wirklichkeit.
Was auch immer gegenwärtig geschieht, ist Wirklichkeit. Es ist egal, ob es eine Identifizierung mit der Geschichte vom „Ich“ gibt, oder ob das „Ich“ klar als Geschichte gesehen wird. In Wirklichkeit spielt das überhaupt keine Rolle; es ist einfach nur der gegenwärtige Ausdruck im Sein.
‚In Wirklichkeit spielt das überhaupt keine Rolle…‘
Das ist eine sehr schöne, stimmige Aussage von einem, dem die Geschichte vom Ich abhanden gekommen ist – nur deshalb ist es egal ob identifiziert oder nicht, das Leiden hat ja ein Ende gefunden. Also für einen Leser ohne Ich bedeutungslos, für den mit Ich ein Ärgernis.
‚Alles geschieht ganz von selbst; das gilt auch für die Identifikation und ihre Abwesenheit.‘
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